Vier Jahre nach dem Tod des Künstlers, 1980, fand in der Ostdeutschen Galerie in Regensburg eine große Ausstellung statt, die erstmals sein Lebenswerk zeigte. Organisiert hat diese Ausstellung der nur ein Jahr ältere Bruder des Künstlers, Dr. Erwin Hölzler.
In mehrjähriger Kleinarbeit erstellte dieser zum einen denKatalog des Gesamtwerks, worauf auch dieses virtuelle Museum basiert. Zu anderen bemühte er sich um die Ausstellung und fand in Wolfgang Schulz einen Partner, der – neu berufen nach Regensburg – dieser Anregung folgte. Den Kunstkritiker Erich Pfeiffer-Belli beauftragte er mit einem ausfühlichen Einführungsartikel im Katalog, der zugleich künstlerische Würdigung wie eine ausführliche Vita umfasst. Ohne diesen Artikel wäre Vieles aus dem Leben des Künstlers heute verloren.
Darüber hinaus sind im Katalog zwei Aufsätze enthalten von Ilse M. Vogel-Knotts und ihrem Mann Howard. Ilse war Schülerin des Künstlers in dessen Berliner Jahren an der „Contempora“-Kunstschule und beste Freundin seiner späteren Frau „Lolla“. Diese vier Personen, die Hölzlers und die Knotts‘ blieben ein Leben lang in tiefer Freundschaft verbunden.
Kunstforum Ostdeutsche Galerie mit Installation von Magdalena Jetelová „Venceremos/Sale“
© Magdalena Jetelová, Foto: Studio Zink Fotografen
zum www.kunstforum.net
Kat. 655: »Im Gedenken an Piranesi« 1974
1980 war Wolfgang Schulz Leiter der Ostdeutschen Galerie Regensburg. In diesem Jahr fand von Januar bis März die Ausstellung zum Lebenswerk von Helmut Hölzler statt.
Die Zeichnungen von Helmut Hölzler – das bedeutet Kunst gegen den Strom der Vielen, ohne daß der Zeichner elitär genannt werden könnte. Kunst gegen die derzeit aktuellen Tendenzen, seien es nun in die Zukunft Weisende, oder auch nur modische. Ein achtenswertes Gesamtwerk wartet hier auf uns. In seiner Beharrlichkeit, Gutes hervorzubringen, immer wieder in neuen Anläufen nach der noch besseren Gestaltung zu suchen, und in der Konzentrierung der Mittel können Künstler und Werk manch‘ Jungem vorbildlich sein.
Vermutlich war der Zeichner sich bewußt, die große Beachtung zu Lebzeiten nicht zu finden. Die Umstände erlaubten dies nicht. Es ist lehrreich zu sehen, wie hier einmal der Satz nicht stimmt, ein Künstler schaffe im ständigen Kontakt zu seinem Publikum und sei abhängig von den Reflexionen anderer über sein Werk – nächster Angehöriger, Freunde, Kunstinteressierter. Dürfen wir mit Teilen ihres jeweiligen Werkes Werner Heldt, Richard Seewald und vielleicht auch Graham Sutherland Brüder im Geiste nennen? Nur Grundstrukturen wären damit anzudeuten. Sie ergaben sich letztlich anscheinend aus der Verarbeitung des allgemeinen künstlerischen Aufbruchs nach dem letzten Krieg, einer zweiten Revolution hin zur abstrakten Kunst. Bei Hölzler, der einen realistischen Ausgangspunkt hatte, wird Abstraktes vielfach zu Hintergründigem, Surrealem. Es mag von Bewußtseinslagen und existentiellen Überlegungen einer bestimmten Generation in die Zukunft künden.
Wolfgang Schulz
Ostdeutsche Galerie
Im Auftrag des Bruders entwickelte drei Jahre nach Hölzlers Tod, 1979, der Kunstkritiker Erich Pfeiffer-Belli, Autor zahlreicher Rezensionen in der Süddeutschen Zeitung, diesen Text, der gleichermaßen eine Biografie wie eine kunstkritische Würdigung des gesamten Werkes darstellt.
Der Stil, in dem der Text formuliert ist, mag aus heutiger Sicht gelegentlich ein wenig verstaubt anmuten – 70-er Jahre eben. Aber er trifft das Wesen des Künstlers auch aus heutiger Sicht sehr präzise und liefert, gespeist von Information und Erinnerungen des Bruders, eine Beschreibung der Wegs und der Lebensumstände von Hölzler, die sich heute sicherlich nicht mehr so detailliert erstellen ließe.
Über Helmut Hölzler
von Erich Pfeiffer-Belli, München
»Der Mensch wird in der Welt nur das gewahr, was schon in ihm liegt; aber er braucht die Welt, um gewahr zu werden, was in ihm liegt; dazu aber sind Tätigkeit und Leiden nötig. « Das hat Hugo von Hofmannsthal notiert, und er hat damit etwas Allgemeingültiges im Hinblick auf den Künstler formuliert.
Tätigkeit und Leiden umreißen das Spannungsfeld künstlerischen Tuns, sei es Dichten, sei es Malen. Tätig sein und Leid erfahrend hinzunehmen – die Künstler machen beides wahr als ihr tägliches Brot: Heinrich von Kleist und Friedrich Hölderlin, Rembrandt und van Gogh sind Fixsterne erster Ordnung am geistigen Firmament der Menschheit. Doch auch viele andere Himmelslichter sind nach dem gleichen Gesetz angetreten, ohne sie wäre das große kosmische Theater unserer Kunst nicht das, was es ist.
In der bildenden Kunst misst man jeden Künstler, den größten wie auch den kleineren, an dem Ernst, mit dem er seine Tätigkeit ausübt, und an der Fähigkeit, Leid zu erfahren und zu ertragen, will sagen, das Leid umzumünzen, zu sublimieren, es Kunst werden zu lassen, reine Kunst, möge sie noch so bescheiden, so still einherkommen.
Helmut Hölzler gehörte zu den Stillen, den Bescheidenen, den ernsthaft Tätigen, die täglich Gerichtstag halten über sich und das Geleistete. Hans Helmut Hölzler kam am 14. Juli 1909 in Bromberg/Posen zur Welt. Der Familienname lässt auf Österreich schließen; seine Vorfahren väterlicherseits, Salzburger Protestanten, fanden zu Beginn des 18, Jahrhunderts Aufnahme in Ostpreußen.
Am humanistischen Wilhelmsgymnasium in Königsberg/Ostpreußen bestand Hölzler 1928 das Abitur. Ein Schüler von Lovis Corinth war dort Hölzlers Zeichenlehrer. Es scheint, dass dieser- Felix Radtke – vom ungestümen Temperament Corinths seinem Gymnasialschüler kaum etwas mitgegeben, wahrscheinlich jedoch Hölzlers Wunsch, Maler zu werden, gefördert hat.
Gleich nach dem Abitur geht Hölzler, von den Eltern nicht gehindert, an die Königsberger Kunstakademie, die in den späten 20erjahren einen ausgezeichneten Ruf genoss. Hier wirkten die Professoren Wolff und Partikel und der Bildhauer Brachert. Die Malklasse Fritz Burmanns nahm Hölzler auf. Einflüsse dieses intellektuell ausgerichteten Künstlers sind bei dem jungen Hölzler wenig feststellbar. Die Atmosphäre der Akademie war bis Ende 1933 freiheitlich und »westlich« orientiert. Der Oberpräsident Siehr hielt, solange es anging, seine schützende Hand über die Kunstakademie, in der es sich leicht leben ließ und wo doch ernsthaft gearbeitet wurde.
Die langen, schneereichen Winter, das kurze Frühjahr, der hohe glühende Sommer, dem allzu schnell der Herbst folgte, ließen bei manchem jüngeren Ostpreußen den Wunsch nach anderen, günstigeren Klimaten wach werden, so auch bei Helmut Hölzler.
Das Sehnsuchtsziel war München: »Du stadt von volk undjugend! heimat deucht Uns erst wo Unsrer Frauen türme ragen«, heißt es bei Stefan George. München, der Magnetstein für Kunstbeflissene, »Heimat« für sie; Gottfried Kellers »Grüner Heinrich« ist von der Pracht Isar-Athens fasziniert. Ein paar Jahre vor dem Ausbruch der Barbarei- 1928 bis 1932 – ist Hölzler in München. Er geht an die »anerkannte private Malschule« von Professor Hugo Troendle (1882-1955); der hatte vor dem Ersten Weltkrieg in Paris gelebt, und seine Bilder waren immer wieder mit »rundlichen Existenzfiguren erfüllt, mit Kindern, die ungeduldig in der Landschaft warten. Alles gab erin blassen Farben, die sich meistens wiederholen und manchmal wirken, als habe er die Welt durch eine Milchglasscheibe gesehen« (Franz Roh).
Die Münchener Jahre müssen heiter und unbeschwert gewesen sein.
Hölzler und Fredegunde von Sonmitz waren die ersten Privatschüler Troendles. Ihnen gesellten sich bis 1931 zu: Kurt Wolfes (später Filmregisseur), Richard Panzer (später Bühnenbildner an den Opern Berlin und München), zwei Schwestern Allmenröder (noch heute in München lebend), Frau Margot Hausenstein und einige andere. Margot Hausenstein (geb. 1890), geborene Lipper, war die Frau des Kunsthistorikers und späteren deutschen Botschafters in Paris Wilhelm Hausenstein. Sie war Belgierin und sprach ihr Deutsch immer mit französischem Akzent, was nicht ohne Reiz war.
Troendles Atelier und seine Wohnung lagen im gleichen Haus in der Gedonstraße mitten in Schwabing. Gleichzeitig waren es nie mehr als sechs Schüler. Das ermöglichte Troendle einen intensiven Unterricht mit täglichen Korrekturen. In der Freizeit tat die Gruppe was auch heute junge Leute aus aller Welt, die in München leben. tun: Sie fuhren an winterlichen Wochenenden zum Skilaufen ins Gebirge, etwa nach Tirol (Schwaz).
Wie stark der Einfluss des Lehrers auf den Schüler Hölzler gewesen ist, dürfte schwer festzustellen sein. Entscheidend für seine Arbeit war gewiss das 1933 beginnende Bronchialasthma, gegen das Hölzler bis zuletzt, da diese Erkrankung immer stärkere Formen annahm, angekämpft hat. Wahrscheinlich hat die Krankheit auch die künstlerischen Bemühungen beeinflusst – zwar nicht der Menge nach, da er jede Stunde nutzte, wohl aber in der Art. Angesichts der uns vorliegenden zahlreichen Arbeiten ist die Vorstellung schwer zu vermeiden, dass Formen und Inhalte von physischem Leiden geprägt sind.
1933 geht Hölzler nach Berlin, das damals noch der lebendige Mittelpunkt des Reiches war. Er bleibt zehn Jahre dort. Die Hauptstadt ist durch ihr gutes, durch den Sandboden bedingtes Klima, ein Arbeitsklima, bekannt. Für den Maler hat diese Tatsache offenbar keine wesentliche Bedeutung im Hinblick auf seine asthmatische Erkrankung gehabt. Eher war Höhenluft in Oberstdorf/Allgäu oder in Garmisch-Partenkirchen hilfreich. Der gesundheitlich nicht eben Widerstandsfähige wird 1941/42 zum Militärdienst einberufen. Zuvor – Ende 1939 – wird ihm eine Lehrtätigkeit an der privaten Berliner Kunst- und Graphikschule »Contempora« angetragen, die er übernimmt, »Contempora« ähnelte in etwa der regen Reimann-Schule und unterstand dem Architekten Fritz August Breuhaus (de Groot) – geboren 1892 -, der »Contempora« in Berlin-Wilmersdorf etabliert hatte. Breuhaus war ein geschickter Macher mit dem Talent, in der Architekturjenen eleganten Stil zu favorisieren, den eine gewisse Gesellschaftsschicht als ihr gemäß anerkannte. Einen besonderen Namen hat sich Breuhaus durch die ihm übertragene Innenausstattung des Luxusdampfers »Bremen « gemacht. Hier war eine Art Neubarock zu besichtigen, also das krasse Gegenteil jener Sachlichkeit, die sich das Bauhaus aufs Panier geschrieben hatte.
Hölzler unterrichtete offenbar mit Erfolg in der Klasse für Gebrauchsgraphik täglich von 9 bis 13 Uhr. Ihm wird Talent für den Lehrberuf nachgerühmt. Das bestätigt noch heute sich erinnernd Ilse M. Vogel, etwa gleichaltrig mit Hölzler, zehn Jahre älter als die übrigen Schüler, also wohl auch kritischer. Sie lobt insbesondere seine Begabung im Korrekturgeben, was Rückschlüsse auf seine unalltägliche Intelligenz zulässt. Ilse M. Vogel machte ihn mit ihrer Freundin Paula Zeidler bekannt, die »Lolla« gerufen wurde. Nach dem Krieg ging llse Vogel nach New York, wo sie den amerikanischen Maler Howard Knotts heiratete. Bis zu Hölzlers Tod bestand eine innige Freundschaft mit dem Ehepaar in den USA. Im April 1943 heiratete Hölzler Paula Dora Emilie Zeidler, ebenjene »Lolla«, die, 1908 in Kassel geboren, fast gleichaltrig mit dem Maler war. Trauzeugen waren Ilse M. Vogel und der Maler- und Lehrerfreund Hugo Troendle, ein Beweis, dass eine gute Beziehung durch all die Jahre hin bestanden hatte. Sieben Jahre- von 1943 bis 1950- lebte das Ehepaar Hölzler in Garmisch-Partenkirchen, Materiell waren die Kriegs- und Nachkriegsjahre keineswegs rosig, und bis zur Währungsreform galt es, sich durch leicht Verkaufbares die Existenz einigermaßen zu sichern. Damals bot sich der Dresdner Buch- und Kunsthändler Mühler hilfreich an: Hölzler schuf für ihn allerlei Entwürfe für Figurinen im Stil bayerischer oder anderer Volkskunst. Sie »zierten« dann Spanschachteln oder wurden als Lesezeichen benutzt, Hölzler ironisierte die einzig dem Broterwerb dienenden Arbeiten, die er sarkastisch »hübsch« nannte oder für eine »Blindenanstalt höchst geeignet« fand.
Belegt ist Hölzlers Teilnahme am Kunstleben in München, Der Direktor des Lenbach-Hauses, Arthur Rümann, stellte ihn zwischen dem 12.Juni und dem 11.Juli 1954 mit Graphiken gemeinsam mit dem Goldschmied Karl B, Berthold, dem Plastiker Joachim Berthold und den Malern Fritz Gartz und Wilhelm Reue aus. Zwei von Hölzlers Graphiken wurden für die Galerie angekauft. Rümann war ein intelligenter kritischer und gütiger Museumsmann, dessen geschmackliches Urteil Gültigkeit hatte. Hölzler gehörte in den Jahren 1957 und 1958 der Neuen Gruppe an; nachgewiesen sind hier einmal zwei Zeichnungen, einmal eine Graphik (Feder und Tusche), 1965 war Hölzler Mitglied der Sezession; er ist in diesem Jahr, dann 1967, 1968, 1970 und 1975 im Haus der Kunst vertreten.
Immer wieder war der freischaffende Maler und Graphiker bedrängt von seiner Krankheit, dem Bronchialasthma. Ohne zu klagen war er dabei intensiv künstlerisch tätig. Die kleine, hoch gelegene Wohnung in der Münchener Valleystraße 44 hatte sauberen Stil. Es gab viele Bücher, vorwiegend zeitgenössische, geschichtliche und sozialkritische Darstellungen, ferner viel Kunstliteratur und ein paar antike Möbel. Zu früh starb 1971 Paula Hölzler, die hilfreich Sorgende, die bei Siemens als Sekretärin gearbeitet hatte. Helmut Hölzler überlebte sie um fünf Jahre. Er starb am 26. September 1976 an den Folgen der ihm durch all die Jahre auferlegten und tapfer ertragenen Krankheit, die er wohl als sein Schicksal empfunden haben mag.
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Entstanden ist in der Hölzler zugemessenen Zeit ein vorzüglich graphisches Werk der Verinnerlichung, Niederschlag geistigen Lebens, im Geist fern von jeder Banalität und billiger Alltäglichkeit oder Haschen nach Effekten. Es gibt kein Schielen nach zeitbedingten Tendenzen. Was Hölzler hinterlassen hat, ist ein eigenständiges, nur ihm und seiner Geisteswelt gehöriges Oeuvre. Es ist ein durch die physisch-psychische Situation bedrängtes, herausgefordertes Werk; Dichtung, die sich in Graphiken sublimiert hat, so könnte man es nennen. Bei Paul Valéry steht zu lesen – und diese Worte passen wohl hierher: »Den Adel der Kunst bedingen die Reinheit des Verlangens, aus dem sie hervorgeht, und die Ungewissheit des Schöpfers über das Glücken seines Tuns.«
Der Maler Hölzler erinnert in seinen eher kleinformatigen frühen Landschaften vielleicht an Carl Hofer. Es ist etwas Schwermütiges, was den Betrachter anspricht, Nächtliches, aber es ist keine aggressive Düsternis oder absichtsvolle Melancholie, eher die Melodie einer abendlich erklingenden Hirtenflöte. Vielleicht kann hier das Wort von Gottfried Benn seinen Platz haben; »Leben ist Brückenschlagen über Ströme, die vergehen«. Das Vergängliche wird angerufen in jenen Aquarellen, die rissig gewordene Gemäuer und geschlossene Türen darstellen, die ins Nichts zu führen scheinen.
In keinem Fall ist es ein »Glücklicher«, der sich in solchen Bildungen ausspricht; nicht glücklich, aber höchst sensibel zeigt sich Hölzler, und so wird es bleiben. Längst vorbei die Epoche, da sich der Künstler – wahrscheinlich noch durch den Einfluss der Bauhauszeit – an Figuren der italienischen Komödie zu artikulieren suchte.
Es gibt nun auch Blätter, die eine Begegnung mit der Formenwelt Graham Sutherlands vermuten lassen: Stacheliges, Dorniges, Gestrüpp. Will er hindurch? Entstehen Wunden, wird da ein Gewand zerfetzt? Gewand für Seele? Werden Irrungen und Wirrungen manifest gemacht?
Die »Kopfblätter« sind Scharaden, geheimnisträchtig, fern von jeder Realistik, wie denn überhaupt das Figürliche längst beiseite gelegt ist. »Kopfblätter« hatten wir gesagt: Man ahnt Profile, männliche, antikische. jedes einzelne Blatt muss sich Hölzler von der Seele, aus der Seele gerissen haben, Zeichen einer Passion. Etwas Leidendes spricht sich aus, klein, spitz gestrichelt. Qualvoll sicher das Ganze und doch entquält, indem der Künstler sich von jedem Blatt Befreiung, Freiheit vom Alltag, dem schmerzend Alltäglichen seines Gefährdetseins verspricht; nicht umsonst, denn das jeweils Formgewordene bedeutet ihm Erleichterung und Ermunterung fortzufahren, Variation auf Variation folgen zu lassen. So wandelt sich schließlich in den späten Blättern das Stachlige und Spitze zum Lyrischen, zu gelöster Heiterkeit und Harmonie.
Wüsste man nichts von der das Leben einengenden täglich, nächtlich andringenden Qual dieser Existenz, die gefundenen Formen, zerbrechlich und kraftvoll zugleich¬ diese Bildnereien fordern Respekt angesichts der bewältigten Form, die streng und dicht sich über das Blatt jeweils ergießt, Fülle, die nicht überbordet. Sparsamkeit, die nicht Armut aussagt. Also Dichtungen, Verdichtungen durch das Medium der Zeichenfeder. Spricht sich in alledem nicht eine saturnische Schwermut aus, Schwermut also, die gewiss den beglückte, der sie als erster empfand und Bild werden ließ und den auch, der – diese Werke betrachtend – seltsam angerührt wird? Geheimnis hier wie dort.
Die beste Freundin Hölzlers Frau „Lolla“, die er in Berlin kennen lernte, war Ilse M. Vogel, eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie gab in der Nazizeit Verfolgten Unterschlupf und Unterstützung. Diese prägenden Erlebnisse finden sich in ihrem Buch „Bad Times, Good Friends“, mittlerweile auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Über Mut im Untergrund“ erhältlich.
Nach dem Krieg, in Amerika, heiratete Ilse Vogel den Künstler Howard Knotts. Ilse Vogel-Knotts und ihr Mann Howard blieben das ganze Leben mit den Hölzler’s eng befreundet. Im Katalog finden sich von beiden, Ilse und Howard, Texte, die den Künstler aus sehr persönlicher wie auch professionell-künstlerischer Sicht betrachten.
Howard Knotts, 1976: Deer Skull Variation #53 – with Starlight |
Helmut Hölzler, mein Lehrer, mein Freund
von Ilse M. Vogel-Knotts, New York
Müsste ich Helmut Hölzler in wenigen Worten schildern, dann würde ich sagen: Helmut war ein Mensch von großem Ernst und ebenso großer Heiterkeit.
Ein Mensch, der jeden äußeren Zwang verabscheute, aber große Selbstdisziplin übte. Ein Mensch von großer Begabung und Intelligenz, großer Ausdauer und Geduld trotz schwacher Körperkräfte.
Für etwa ein Jahr, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, war er mein Lehrer in Berlin. Für lange Jahre danach – bis zu seinem Tode 1976 – ein guter, echter Freund.Als Lehrer war er einmalig. Er sprengte den Rahmen dessen, was man auf einer Schule für Gebrauchsgraphik lernen kann, weit. Seine ausführlichen Korrekturen zogen die »Feine Kunst« ständig heran. Auch Literatur wurde einbegriffen. Sein Wissen auf beiden Gebieten war groß und seine Freude und Lust, dieses Wissen Weiterzugeben, machte ihn zu einem vorzüglichen Lehrer.
Als Freund gehörte er zu den seltenen Menschen, deren Freundschaft durch geographische Entfernung – ich war seit 1950 in Amerika – nicht verringert wurde. 1943 hatte Helmut meine Freundin Lolla geheiratet, was ein weiteres bindendes Element war. Und als ich 1959 nach zwölfjähriger Abwesenheit von Deutschland Helmut wiedersah, war es mir eine große Freude, dass er und mein »neuer«, amerikanischer Maler-Ehegatte eine Zuneigung auf den ersten Blick fühlten.
Dieser erste Blick wurde in der Münchner Residenzweinstube ausgetauscht, wo wir verabredet hatten, uns zu treffen. Eine rote Rose steckte im Maul des bronzenen Löwen, der den Eingang zur Weinstube bewacht. Sekunden später fanden wir Lolla und Helmut am langen, weiß gescheuerten Tisch. Ein wenig ängstlich – wie sie später eingestanden – ob der noch unbekannten amerikanischen Beigabe zu meiner Person.
Die gemeinsamen Münchner Tage wurden Festtage, Museumsbesuche und Wanderungen in der Umgebung von München endeten zumeist in der Residenzweinstube. »Einfach und nobel« nannte Helmut ihre Architektur. Auch wusste er stets, ob »der Fünfer« oder »der Dreier« der beste Schoppen des Jahres war. Die anfangs ernsten, auf das im Museum Gesehene bezogenen Gespräche wurden nach dem zweiten und dritten Schuppen lockerer und endeten oft im großen Kreis, der sich – keiner wusste recht wie und woher – um uns herum gebildet hatte. Dann zogen wir uns in die stille Beschaulichkeit der Hölzlerwohnung in der Valleystraße zurück. Winzig klein war diese, aber sie schien die ganze Welt zu enthalten. Die vielen Bücher gaben Zeugnis, dass Helmut nicht nur in der Kunst und Kunstgeschichte zu Hause war, sondern auch in der Weltliteratur. Auch hatte er unzählige internationale Filme gesehen, sie wohldurchdacht und liebte es. sie mit uns zu besprechen, Sein scharfer Geist bewegte sich schnell von einem Kulturkreis zum anderen. Nie verließ ihn sein köstlicher Humor. Auch seine Güte war allgegenwärtig und wärmend. Spürbar selbst wenn er ablehnend-kritisch über gewisse Ideen und Richtungen anderer Künstler oder der Kunst im allgemeinen sprach.
Es waren jedoch Helmuts Arbeiten, durch viele Krankheiten und Beschwerden häufig unterbrochen, die bei diesem wie auch bei den Besuchen in folgenden Jahren im Vordergrund standen. Er betonte wieder und wieder, dass er keine Malerfeunde in München hätte, und seine (auch unsere) Freude am Zeigen und Diskutieren seiner Arbeiten war groß und zog sich zumeist tief in die Nächte hinein.
Selten sprach Helmut über seine Krankheit. Manchmal jedoch schien er unter dem Zwang zu stehen, sprechen zu müssen. Dann sprach er sehr ausführlich, schilderte die kleinsten Symptome. Alles sehr sachlich. Ohne Selbstmitleid. Sogar Humor flackerte hier und da auf. Ich hörte schweigend zu. In great pain. Waren das die Dornen, die vielen Dornen, die so häufig in seinen Arbeiten auftauchten? Nach innen gerichtete Dornen, um ja nicht seine Umwelt zu verletzen?
Aber das Waren seltene Ausbrüche. Seine positive Haltung, seine Devotion, seine Liebe zu den wichtigen Dingen des Lebens: KUNST, gewannen immer schnell den Sieg über das Dunkle.
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Das letzte Mal sahen wir Helmut im März 1976. Er lebte schon fast fünf Jahre allein. Der Tod meiner lieben Freundin. seiner Frau 1971 war bei unserem Besuch, zwei Jahre zuvor, noch als schmerzende Lücke recht fühlbar gewesen. Jetzt freuten wir uns, Helmut wieder heiterer zu sehen. Er hatte – mit den üblichen, krankheitsbedingten Unterbrechungen – viel gearbeitet. Das war sein Lebenselixier, Freude und Genugtuung strahlte aus seinen Augen, als er sah, wie sehr uns seine neuen Arbeiten beeindruckten und gefielen. Wir brachten drei Nächte mit dem Auswählen von drei Blättern zu, die in der kommenden Woche dem Komitee am Haus der Kunst vorgelegt werden mussten. Eine mühselig getroffene Wahl wurde nach Stunden umgeworfen und eine neue Auswahl getroffen. Mit den Titeln ging es nicht anders. Dem Suchen und Finden eines Titels folgte ein Glas Wein und manchmal Gelächter. Dem Gelächter Zweifel, neues Nachdenken, Akzeptieren und Verwerfen, bis schließlich drei Titel dreistimmiges Übereinkommen fanden. Am nächsten Morgen konnten die Blätter zum Rahmenmacher gebracht werden.
Dann kam der Abschied: kurz nach Mitternacht in der Valleystraße; am 14, März. Traurig, wie Abschiednehmen immer ist. aber Heiterkeit vortäuschend. Helmuts blonder Kopf war über das Treppengeländer des vierten Stockes gebeugt. bis wir im Parterre angelangt waren. Die üblichen Worte des Abschieds flogen noch treppauf und treppab und verdeckten die ängstliche Frage, die in den Herzen lauerte: Wird man sich je wiedersehn?
Helmuts Tod – sechs Monate später – hat eine große Lücke in unser Leben gerissen.